Ingrid Noll: Kalt ist der Abendhauch


Taschenbuch, 256
Diogenes Verlag
Erscheinungsjahr: 1999
Preis: 10,90 €
Amazon


Meine Vorliebe bei Lektüre ist ein offenes Geheimnis. Ich liebe Geschichten, die vom Leben erzählen, ihren Protagonisten von Geburt an bis zum Tod begleiten und manchmal sogar darüber hinaus. Nicht selten spielt in diesen Büchern der 2. Weltkrieg eine Nebenrolle. Ich habe sogar ganze Kapitel gelesen, die den Krieg thematisieren und war mitgerissen. Besonders spannend finde ich es Einblicke in verschiedene Perspektiven zu erhalten.

Eine andere Macke von mir ist, dass ich häufig die Verfilmung vor dem Buch sehe und so im nachhinein oft eine andere Meinung habe, als die Verfechter der These "Bücher sind besser als die Filme, die daraus gemacht werden", oder aber mir gefällt die Umsetzung ziemlich gut, selbst wenn sie sich nicht exakt an die literarische Vorlage hält.

"Kalt ist der Abendhauch" von Ingrid Noll  ist so ein Fall. Der Film gehört zu meinen Lieblingsfilmen. Es hat ewig gedauert bis ich das Buch gelesen habe: spannend, rührend, aufwühlend, mitreisend, nur um einige Adjektive zu nennen, die dieses Buch beschreiben.

Eins vorweg, es handelt sich nicht um einen Krimi, obwohl Frau Noll  als Krimiautorin bekannt ist. Inhaltlich gibt es trotzdem eine Leiche.

Vor allem ist dies ein Roman, der in seinen wenigen Seiten, in wenigen, gezielt gesetzten Worten, ein ganzes Leben enthält, welches so eindrucksvoll ehrlich geschildert wird, dass es mir an vielen stellen die Sprache verschlagen hat.

Inhalt:

Charlotte Schwab, Anfang achtzig, ist eine resolute Frau, die nicht auf den Mund gefallen ist. Sie ist eine außergewöhnliche Erscheinung. Am liebsten trägt sie Turnschuhe und einen grünen Jogging-Anzug. Zu ihrem Enkel Felix hat sie eine besonders freundschaftliche Beziehung, der sich um sie kümmert.  Ihr Schwager Hugo, die große Liebe in Charlottes Leben, hat sich zum Besuch angekündigt. Dies nimmt sie zum Anlass  ihr Leben revue passieren zu lassen. Geheimnisse werden dabei ans Tageslicht gefördert.

Der Schwenk geht zur 15 Jährigen Charlotte. Ein intelligentes, vorwitziges Mädchen, dass sich auf den ersten Blick in Hugo verliebt, in der festen Überzeugung ebenso von ihm geliebt zu werden. Jedoch heiratet dieser ihre Schwester Ida, womit für sie zwar eine Welt zusammen bricht, jedoch nicht daran hindert weiter von ihrem Schwager zu träumen. Charlotte hegt sogar alles andere als christliche Gedanken, betet dafür, dass Hugo die Schwester verlässt, oder das sie gar im Kindbett stirbt. Charlotte ist in ihren Erinnerungen schonungslos ehrlich, ohne ihre eigenen Motive zu verklären und dies beeindruckt. 

In den folgenden Jahren ändert sich nichts an ihrer stoischen Liebe zu Hugo. Sie tut so einiges um in seiner Nähe zu bleiben. So beginnt sie eine Lehre im Schuhgeschäft ihres Vaters, welches Hugo eines Tages übernehmen soll. Gleichzeitig erschließt sich nie ganz womit er ihre Liebe verdient hat. Der Schwager ist das was man unter einem Lebemann versteht, ein Träumer, der seine Nase in Büchern versinken lässt und stundenlang darüber diskutieren könnte. Er hat eine optimistische Art ans Leben heran zu gehen, hält nichts vom Krieg, lebt und liebt und das in zahlreichen außerehelichen Affären. Erst als ihr Leben vom Krieg überschattet wird, Charlotte ist junge Witwe, beginnen die beiden eine Affäre und leben sogar  eine Zeit lang wie eine Familie zusammen, in der sich sich Hugo um Charlotte und ihre Kinder sorgt. Selbst als er sich endgültig für die Schwester entscheidet und Charlotte in zweiter Ehe gebunden ist, bleibt ihre Affäre heimlich bestehen...

Charlotte Schwab, Anfang 80, bereitet sich also  auf den Besuch ihres geliebten Schwagers vor. Kann es nach all den Jahren noch ein "Happy End" für ihre Liebe geben?

An dieser Stelle möchte ich nicht mehr viel von der Handlung verraten, auch wenn mir das unter den Fingern brennt, nur auf das Gedicht "Abendlied" von Mathias Claudius möchte ich verweisen, in deren siebten Strophe es heißt: 

So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott! mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen!
Und unsern kranken Nachbar auch!

(Abendlied, Matthias Claudius)


Für mich gleicht der Roman der letzten Beichte einer Frau, die ihr Leben gelebt hat und dem Ende naht, die um Vergebung ihrer Sünden bittet und so einen friedlichen Lebensabend verbringen kann. Jedem, der sich für die Tragödie des Lebens interessiert und gleichzeitig die Schönheit darin erkennen kann, kann ich "Kalt ist der Abendhauch" bedenkenlos empfehlen. 


Die Literatur-Verfilmung

Kalt ist der Abendhauch DVD
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Der Film Trailer




Wertung


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